Wie war das damals?

Ein "Disko-Koffer".
Foto: privat

Wie haben die Rostocker zu DDR-Zeiten gefeiert und getanzt? Die Kunsthalle bereitet eine neue Ausstellung vor, unterstützt von der WIRO. Wir haben uns unter unseren Kollegen umgehört …

»Wir haben uns die Welt bunt gemacht.«
Seine »Staatliche Spielerlaubnis für Schallplattenunterhalter« von 1984 hat Jan Litschko immer noch. »In der DDR gab es offiziell keine Diskjockeys, sondern nur Schallplattenunterhalter«, erklärt der Techniker der WIRO-Tochter WIR. Um einer zu werden, hat er mit 18 Jahren Musikgeschichte und Sprecherziehung gebüffelt. »Am Ende wurde man von einer Prüfungskommission eingestuft.« Er bekam die A-Lizenz, später noch die Stufe B. Der wichtigste Unterschied: die höhere Gage, 6,50 die Stunde anstelle von 5 Mark. Mit seinem Kumpel Ronald ist der Rostocker unter dem Namen »Digital-Disko« aufgetreten: im »Pablo Neruda« in Evershagen, im alten MAU in der Blücherstraße, in den Jugendclubs in Dierkow. Jan Litschko war für Musik zuständig, sein Freund für die Technik. Ihre Ausstattung: ein Kassettendeck, eine selbst geklebte Disco-Kugel und eine Lichtanlage Marke Eigenbau, die unter anderem aus Wartburg-Scheinwerfern bestand. »Diskotheker mussten die Gäste auch mit Einlagen unterhalten.« Jan Litschkos Spezialität war der »Robot Dance«. Die roboterartigen Tanzschritte hat er sich selbst beigebracht. Oder: »Mit einer Super-8-Kamera haben wir Musikvideos aufgenommen und vorgeführt.« Wenn er zurückdenkt, wird ihm warm ums Herz. »Wir haben uns die Welt damals bunt gemacht.« Mit seinen Jobs an den Wochenenden hat Jan Litschko sein Elektrotechnikstudium finanziert. Bei guter Auftragslage kam mehr zusammen als ein gewöhnliches Monatsgehalt: »Ich konnte mir einen alten Dacia leisten, da haben die Professoren schief geguckt«, erinnert er sich lachend.

Jan Litschko und seine Mitstreiter bei einer Silvesterparty im »Riga« in Lütten Klein Ende der 80er.
Jan Litschko und seine Mitstreiter bei einer Silvesterparty im »Riga« in Lütten Klein Ende der 80er. Foto: privat

»Ich wollte einfach nur tanzen!«
Es gab eigentlich nur eine Adresse, in der Constanze Allwardt in den 80ern nicht das Tanzbein geschwungen hat. Oder genauer: nicht durfte. In die Boulevard Bar auf der Kröpi ließ man sie nicht rein, weil sie einen Jeansrock aus dem Westen trug. Ansonsten war die heutige Leiterin der WIRO-Vermietung überall dort, wo was los war. »In jedem Stadtteil gab es Klubs und Bars für jede Generation.« Schülerdiskos am Nachmittag, Tanzcafés für die älteren Semester, für alle dazwischen gab’s Pop, Folk, Rock und Heavy Metal, wofür auch immer das Herz schlug. Constanze Allwardt feierte im »Riga« in Lütten Klein, im Teepott, in der »Neptun«-Disko in Warnemünde und im Ostseedruck, mit ein wenig Schummelei kam sie sogar in die Studentenklubs. »Ich wollte einfach nur tanzen und mich schick anziehen.« Eintritt und Getränke waren günstig. Und wenn der Lehrlingslohn knapp wurde, gab´s Rum-Cola auch mal ohne Cola, erinnert sie sich lachend. Die Feten gingen um 18 Uhr los, um 1 Uhr war Schluss. »Manchmal sind wir noch weitergezogen und später mit einem Schwarztaxi nach Hause.« Egal wie spät es wurde: Am nächsten Morgen stand die Nachtschwärmerin immer pünktlich auf der Matte ihres Lehrbetriebs. Die flotte Reutershägerin hat in ihrer Jugend viele Nächte zum Tag gemacht. »Oft war ich von sieben Wochentagen sechs unterwegs« Nur montags war unfreiwillige Tanzpause. »Weil Ruhetag war.«

»Da hat sich niemand dran gehalten.«
Andreas Hötschkes hat als WIRO-Vermieter für Tausende Rostocker die passende Wohnung gefunden. »Im Umgang mit den unterschiedlichen Interessenten ist mir meine Lebenserfahrung als Diskjockey oft zugutegekommen.« Seit ein paar Wochen ist er im Ruhestand und hat Zeit gefunden, seine alten Schätze zu sortieren. Hunderte Kassetten und ein Büchlein, in dem er 5.000 Titel nummeriert hat. »Da hängen viele Erinnerungen dran, das konnte ich nie wegwerfen.« Offiziell galt in der DDR für alle Diskotheker die 60-40-Regel: 60 Prozent der Musik musste aus der sozialistischen Welt, nur 40 Prozent durfte aus dem Westen kommen. »Daran hat sich natürlich niemand gehalten.« Das Problem: Die angesagte Musik war Goldstaub. Hötschkes musste die Hits im Westradio mitschneiden. »Nächtelang habe ich neben meinem Kassettenrekorder gesessen und gehofft, dass der Moderator nicht in die Titel reinquatscht.« Andreas Hötschkes durfte in der ganzen DDR arbeiten, denn das Stadtkabinett für Kulturarbeit hat ihn in Kategorie C eingestuft. Der Rostocker hatte Aufträge in Karl-Marx-Stadt, beim Pfingsttreffen der FDJ in Berlin. Er hat Karat, Stern Meißen und Berluc getroffen. In den Rostocker Tanz-Etablissements ging er ein und aus. Sein Equipment hat der gelernte Mechaniker selbst gebaut. Nur das Kassettendeck, eins aus dem Westen, hat er sich für 2.000 Ostmark auf dem Schwarzmarkt besorgt.

Andreas Hötschkes (rechts) in seinem Element.
Andreas Hötschkes (rechts) in seinem Element. Foto: privat

»Es wurde viel mehr gefeiert.«
Ob 1984 oder 2024: Jörn Anders feiert bis heute gern. Noch lieber organisiert der Marketingexperte der WIRO die Feten selbst. »Ich habe in der sechsten Klasse mit Schuldiskos angefangen, habe mich um alles gekümmert.« Mit 16 hat er seine offizielle Spielerlaubnis bekommen. In den 80er-Jahren gab es keine Spielkonsolen, das Fernsehprogramm war überschaubar und der DDR-Alltag grau: »Darum wurde nach Feierabend viel mehr gefeiert.« Frauentag, Brigadeabend, runde Geburtstage, der 1. Mai – es gab immer einen Grund. Tanzveranstaltungen fanden in Kultursälen der Betriebe, Jugendklubs, FDGB-Heimen oder in Multifunktionswürfeln in den Neubaugebieten statt. Wer dabei sein wollte, musste sich rechtzeitig anstellen, um reinzukommen. »Oder man hatte gute Beziehungen.« Es brauchte eine Menge Schallplattenunterhalter, um die vielen Feten auszurichten. »Es gab genug Aufträge für alle.« Jörn Anders hat Roger Whittaker bei Betriebsfesten gespielt, Depeche Mode in der Ferienlager-Disko oder bei der Faschingsparty. Während seiner Armeezeit hat Jörn Anders alias DJ Unikum im Jugendklub »Backskiste« in Hohe Düne, in einem alten Bunker, Urlauber und Rostocker in Feierstimmung gebracht. »Ich hatte nie Angst vorm Mikro.« Das hatte sich rumgesprochen und darum wurde er 1988 zum Vorstellungstermin nach Berlin eingeladen, als Jugendradio DT64 einen neuen Moderator suchte. Den Job bekam ein anderer. »Trotzdem denke ich oft und gern an diesen aufregenden Tag zurück.«

»Rostock tanzt« – Kunsthalle sucht Fotos
Die Kunsthalle zeigt im Sommer die Foto-Ausstellung »Der große Schwof«. Zu sehen sind mehr als 300 Bilder, vorwiegend aus den 80er-Jahren und aus der ganzen DDR. Aber wie war’s in Rostock? Die Kunsthalle, unterstützt von der WIRO, zeigt neben der großen Schau eine regionalisierte Ausstellung. Für »Rostock tanzt« suchen wir private Fotos von Feten aller Art und Diskoabenden aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Schreiben Sie uns bitte an: redaktion{at}WIRO.de

www.kunsthallerostock.de